Dienstag, 18. April 2006

Zwischenspiel

So. Ostern ist vorbei und hat sich als wahre Wohltat herausgestellt.
Endlich mal wieder vier Tage nichts anderes tun als in den Seilen zu hängen und introvertiert zu faulenzen.

Ich muss sagen, die Ruhepause habe ich gebraucht, nachdem die letzten Wochen mit Arbeit und die letzten Wochenenden mit der Suche nach einer Wohnung im Süden Hamburgs dahinflogen B. zieht wieder mit mir zusammen, nachdem sie endlich in Hamburg einen neuen Job gefunden hat.
Die Suche währte zwei Jahre, in denen ich a.) mit einer Weiterbildung hemmungslos beschäftigt war und b. ) mir wieder ein ganzes Stück Eigenleben erobert habe.

Abzuwarten bleibt, wie harmonisch die erste Phase der neuen Gemeinsamkeit wieder wird. Wobei: letztes Mal ging das eigentlich recht problemlos.
Die wirklich interessante Frage ist allerdings, wie sich die Erotik-Kiste entwickeln wird.

B. will nun endlich eine Sexualtherapie beginnen und ich bin gespannt. Ich weiss, in ihrem derzeitigen Gefühlszustand könnte Sie den Rest Ihres Lebens ohne Sex verbringen. Ich allerdings nicht.
Ich werde nach spätestens 3 Tagen unleidlich und unzufrieden.
Kommt Zeit, kommt Rat sagte meine Oma immer. Zeit kam. Sie ist tot. Kein Rat.

Also mal einen fairen Teil der Therapie abwarten und dann weitersehen.
Bis dahin: An den Gedanken gewöhnen, Umzugskartons und Möbel zu schleppen. Das ist dann der ... mal sehen ... 10. Umzug meinerseits und ungefähr der 30. an dem ich überhaupt die zweifelhafte Ehre hatte, mitzuwirken. Ich mag Umzüge nicht.

Abgesehen davon, dass man nie alles wieder aus den Kartons holt (einen Gutteil sowieso erst nach einem Jahr) muss man auch noch 1-2 Wohnungen renovieren, in OBI-Heimwerkertempeln Dutzende von Kleinigkeiten zum neu-an-die-Wand-schrauben besorgen und die Helferschar bei Laune halten - zumindest, wenn man nicht in der glücklichen Lage ist, sich mittels Unmengen von Geld professionelle Hilfe zu holen.

Die braucht man aber spätestens nach der Aktion sowieso: von einem guten Chiropraktiker oder Orthopäden.

Freitag, 14. April 2006

Nachtgedanken


Gerade um drei Uhr morgens nach Hause gekommen und minutenlang vor dem Haus den Vollmond in all seiner Pracht angestarrt.

Keine Ahnung, wann ich das das letzte mal gemacht habe. Irgendwie kommt es mir in den Dreissigern sowieso so vor, als würde das Leben in einem D-Zug an mir vorbeirauschen. Und zwar mit zunehmender Beschleunigung. Immer öfter bricht sich die Frage Bahn, ob ich was verpasst hätte. Ebenso oft allerdings lautet die Antwort: "Keine Ahnung. Vielleicht."

Seit 10 Jahren in einer Beziehung, die sich im Geistigen so sehr ergänzt, dass man sich blind versteht und in der ein Fehlen des Partners ebenso zu Buche schlagen würde, wie das Fehlen eines Beines, das jedoch in Punkto Lust eine Wüstenei darstellt.
B. hat nach extrem besch ... bescheidener Kindheit und langer Therapie endlich gelernt zu akzeptieren, dass Sie einen Körper hat. Die spannende Frage ist die, ob sie auch Sex je als Anteil dessen akzeptieren wird, was zu einem Körper gehört.
Und an alle Frager: Ja, das war schon die meiste Zeit so. Zweite Frage: Warum ich das so lange mitgemacht habe? Ganz einfach: Weil ich diese Frau liebe. Sie passt zu mir, wie ein Handschuh und ergänzt mich. Und nur dies ist der einzige Knackpunkt in der Beziehung.
Und in jeder Phase der Unzufriedenheit guckt man auf andere Paare / Frauen und stellt sich die oben genannte Frage. Na ja. Für jemanden, der Befriedigung daraus zieht, zu sehen wie eine Frau unter seinen Händen genießt, ist das wahrlich bedrückend.

Wie sang Max Raabe:
"Ich könnte jemand so viel Liebe schenken -
es ist gar nicht auszudenken!"

Zärtlichkeiten an jemanden zu verschenken, der sie mit Genuß anzunehmen weiß, wäre wirklich mal wieder schön.
Tja ..vielleicht nächsten Monat.
Zum Teufel mit demjenigen, der die Monogamie eingeführt hat.

Montag, 10. April 2006

Brief an W.

Kürzlich telefonierte ich mit W., meiner hochverschuldeten besten Freundin, die in Hamburg ihr Dasein fristet und verzweifelt nach einem Job sucht.

Dank diverser Fehler bei der Arbeitsagentur ist ihr Einkommen derzeit gerade bei ungefähr 0,- € angesiedelt. Dementsprechend deprimiert war sie. Nach zwei Stunden konnte ich zwar einmal mehr etwas ermuntern und das eine oder andere Lachen hervorrufen, aber irgendwie schien das diesmal nicht zu genügen.
Mein Dispo schreit mich zwar selbst jedesmal auf dem Auszug an, jedoch brauche ich das Geld nicht so nötig wie sie. Also flugs ein wenig Geld in den Umschlag und mit der Hoffnung, das ich ihren Tag ein wenig aufhelle, folgende Zeilen auf das Papier gebannt:


........., den 06.April 2006
zur ersten Stunde
Liebste Freundin,
ich hoffe, dieser Brief findet Euch in besserer Stimmung vor, als bei unserem Gespräch oder vermag zumindest, diese zu heben.

Stets hasse ich es aufs Neue, so wenig zur Besserung Eurer Lage unternehmen zu können, als nur aufzumuntern und als treuer Freund dann und wann ein Lächeln auf Euer anmutiges Gesicht zu zaubern. Verfügte ich über ein Vermögen - ich würde freudig den notwendigen Teil zur Beseitigung Eurer Sorgen dorthin legen, wo mein Herz bereits seit langen Jahren ruht: zu euren Füßen.

Da mir ein solch weltlicher Reichtum jedoch bisher nicht zuteil wurde, verfüge ich nur über die armseligen Gaben des Verstandes, des Herzens und der Zuneigung, welche ich euch, liebste Freundin, umso lieber widme, als Ihr ein unschätzbarer Anteil an jenem Reichtum seid, welchen zu besitzen ich mir zu Gute halte: den Reichtum an Freunden.
Derjenige, der einst sprach: “Freunde sind der größte Reichtum, welchen ein Mann besitzen kann.“, war gleichwohl weise und im Recht. Eure wohlwollende Zuneigung ist mir ein teurer Schatz, liebste Freundin, welchen weder Reichtümer oder Ruhm aufzuwiegen vermöchten und welchen ich nur gegen eine Sache auf dieser Welt eintauschen würde: Eure Liebe.

Wir sind gewiß - und oftmals dauert es mich - kein Liebespaar, doch zu weinen,zu lachen und zu träumen vermögen wir gemeinsam - sind anvertraute Seelentaucher, Sternenkinder und so nie einsam.

Doch nun, liebste Freundin will ich dies magere Geständnis meiner Zuneigung an Euch abschließen und mich willig in Morpheus’ Arme begeben, um von Ihm Träume zu empfangen, welche bessere Tage für unser Dasein prophezeien.

Um das Eure um ein Weniges zu erleichtern, liebste Freundin, gestattet mir, diesem Brief neben meinen innigsten Wünschen gleichwohl eine winzige Hilfeleistung anzuvertrauen, von welcher ich hoffe, daß sie von Euch in dem Geiste empfangen werde, in welchem ich sie zu geben vermag: voller Freude.
So verbleibe ich

stets der Eure,
S.

Das geflügelte Wort ...

Wenn es um den schriftlichen Umgang miteinander geht, verfällt immer mehr dem SMS-Kürzelstil. Bedauerlich: niemand hat mehr Zeit einen echten Brief zu schreiben, geschweige denn zu lesen oder Feinheiten zu erkennen.

Kürzlich fiel mir hierzu ein Text in die Hände, den ich zitieren möchte:

Stets der Deine

"Gibt es sie eigentlich noch, jene sozialen Distinktionsmerkmale, die der französische Soziologe Pierre Bourdieu "die feinen Unterschiede" nennt? In der westlichen Warengesellschaft drückt sich Klassenzugehörigkeit vor allem in Markenartikeln aus, und dafür gelten sicher noch immer zahlreiche Feinabstufungen. Aber seit Jungmanager T-Shirts unterm Nadelstreifenanzug tragen, seit, quer durch alle Schichten, umstandslos geduzt wird und die Liebe zum ehemaligen Volkssport Fußball den letzten Kick für Intellektuellengespräche liefert, wird man nicht mehr so ohne weiteres ausmachen können, wer zu dem gehört, was früher "die bessere Gesellschaft" hieß. Einen Bereich aber gibt es noch immer, wo der Bürger sofort weiß, woran er bei dem anderen ist. Und das ist der Bereich der schriftlichen Korrespondenz genauer gesagt dessen Schlussformel.

Nun sind zweifellos die Zeiten vorbei, in denen man sich "untertänigst" dem Adressaten als "sehr ergebener Diener" empfahl, und selbst in Frankreich ist jenes "Wollen Sie bitte, verehrter Herr, den Ausdruck meines tief empfundenen Respekts annehmen" einem zeitgemäßen "très à vous" gewichen, mit dem man inzwischen jeden Brief unterzeichnen kann. Aber jene Geste der Verbeugung, jener Ausdruck von Zugewandtsein, der sich im besitzanzeigenden Fürwort ausspricht, hat doch noch immer seine Gültigkeit, und es kann mit Fug und Recht für schlecht erzogen gehalten werden, der auf das "Ihr" oder "Dein" vor der Namensnennung am Schluss der noch so kurzen Mitteilung verzichtet.
In den Siebzigern, als man meinte, alle überkommenen Formen auf den Prüfstand stellen zu müssen, war das Possessivum natürlich verpönt, weil es als angebliches Ritual der Unterwerfung dem Ideal vom "herrschaftsfreien Diskurs" widersprach. Noch mehr fürchtete man freilich, vulgärpsychologisch geschult, wie man war, eine emotionale Abhängigkeit à la "ich gehöre (zu) Dir" zu bezeugen, wenn man seinen besten Grüßen ein "Dein" oder "Ihr" anfügte. Dabei geht es hier weder um asymmetrische Herrschaftsverhältnisse noch um Liebeserklärungen, sondern schlicht und einfach darum zu sagen: Ich bin, für das Abfassen dieses Briefes, aber auch sonst FÜR DICH DA.

Die possessivische Schlussformel dient also, im Gegensatz zu der Meinung des "aufgeklärten Bewusstseins", eben gerade nicht der Hierarchisierung, sondern der Gleichstellung. Gute Chefs wissen das genauso wie gute Freunde. Nie vergessen werde ich die Hausmitteilungen meines ersten Arbeitgebers, Herausgeber einer nicht ganz unbedeutenden Regionalzeitung seines Zeichens, der noch dem Redakteursanfänger ein "Lieber Herr Krause" sowie ein "Ihr rdh" gönnte, und wenn zwischen diesen beiden Zeilen nur ein geschäftsmäßiges "Interesse ?" stand. Ein ordentlicher Text verfügt eben über Anfang, Mitte und Schluss.

Freilich gehört, und damit sind wir wieder bei der Distinktion, zur bewussten Verwendung solcher Korrespondenzrituale ein Wissen um ihre symbolische Funktion. Und Selbstbewusstsein! Denn man muss es sich leisten können, ohne an seinem Ego Schaden zu nehmen, einem anderen Menschen "zuvorkommend" zu begegnen, ohne Ansehen von dessen gesellschaftlicher Stellung übrigens. Auch dafür hat ein Bürger, der nebenbei Schriftsteller war, eine schöne Formel gefunden: "Ich habe Würde genug, um viel verschwenden zu können." Besagter Bürger hieß Thomas Mann."
Quelle: Online-Welt, Freitag, 28. Januar 2005

Bemerkenswert.